Lotec denken, linsenfrei fotografieren:

Trotz ausgerenkter Schulter sieht 007 mal wieder blendend aus. Er läßt sich gerade in Q's Labor in dessen neueste Erfindungen einführen, seine Anwesenheit verleiht dem HighTech-Waffenlager die Unschuld eines Spielzeugfabrik-Showrooms. Teuer vom Empire bezahlt, sind die komplexen, multifunktionalen Spezialwaffen vor allem ebenso leicht zu bedienen wie ein Toaster. Bond weiß das längst und schnappt sich charmant einfach das, was er braucht, bevor Q überhaupt protestieren kann.
* Auch Andreas Baader ist ein Killer und ein Held. Ihn hat seine systemkritische Haltung allerdings auf die unterste gesellschaftliche Stufe verwiesen. In dem Film "Die Entführung der Landshut" sitzt er in seiner Zelle in Stammheim und tüftelt an einem Kabel herum. Der Besitz eines Radios ist ihm nicht erlaubt, er soll von Berichten aus der Außenwelt abgeschirmt werden. Baader hat seinen Plattenspieler auseinandergebaut und versucht nun aus Teilen davon ein Radio zu basteln: Ein typisches LowTech-Szenario.
Sicherlich schätzen viele LowTech-Anwender hauptsächlich die nostalgische Ästhetik oder finanziellen Vorteile einfacher Techniken. Auch ist im Zeitalter des Neoliberalismus ein der seriellen Vereinheitlichung entgegenwirkender, mehr Individualität versprechender Trend immer sehr willkommen. Es hat aber durchaus seinen Grund, daß gerade solche Menschen mit LowTech operieren, deren Position nicht eben dem Mainstream entspricht. Wer mit 35 mm-Material oder 3D-Kameratechnik arbeiten will oder Equipment und Fachkräfte für diverse digitale Produktionsarten braucht, kommt eben nicht umhin, bei Kulturgremien Anträge zu stellen oder sich Sponsoren zu suchen. Der Weg durch die Instanzen kostet meistens vor allem eines: die eigene Position. LowTech zu benutzen dagegen garantiert Unabhängigkeit und ermöglicht es, sich spielerisch und ohne permanenten Legitimationszwang auszuprobieren. Schließlich wirken manche Projekte in der Anfangsphase noch holprig, was Gönner und Projektbetreuer schnell verunsichert und zum Eingreifen veranlaßt. Nicht immer zugunsten der Ergebnisse, ist doch Unbeholfenheit eine durchaus typische Kinderkrankheit letztendlich großer und ungew'öhnlicher Arbeiten.

Die Angst der Künstler vor den Bastlern

"LowTech" ist mehr als nur eine Bezeichnung für Technologie auf niedriger Entwicklungsstufe. LowTech kann zur Denkweise, zur Haltung werden und läßt sich wunderbar adjektivisch gebrauchen: "Derzeit arbeite ich total „lotec“, weißt du." LowTech kann vor allem eine Metapher dafür sein, mit wenigen bescheidenen Mitteln gegen besser ausgerüstete Konkurrenten zu kämpfen, das Territorium nicht dem Stärkeren zu überlassen. Lotec zu denken bedeutet zu überlegen, was das kleinste notwendige Element ist, das den funktionalen Charakter eines Mediums ausmacht. Das gilt sowohl für das technischen Niveau eines Apparates als auch für den technischen Aufwand eines ganzen Projekts. Angesichts der aktuellen Medienkunstschwemme hilft das vor allem, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich zu fragen: wieviel Technik braucht mein Projekt „wirklich“? Das soll nicht bedeuten, daß alle Künstler, die mit neuen Medien arbeiten, sofort wieder auf Geräte aus der Pionierzeit zurückgreifen sollen - schließlich geht nichts über die Poesie kleiner hybrider Cyberkunstmonster oder den vacuum-cleanen Schauer einer Videoprojektion!
Dennoch ist es interessant zu beobachten, wieviele künstlerische Arbeiten durch noch so viel technischen Aufwand nicht unbedingt besser, und welche Unsummen an Fördermitteln dennoch dafür ausgegeben werden. Interessant ist auch der selbst im Zeitalter von Partykunst und Trashästhetik immer noch sehr hohe Distanzierungsbedarf vieler Künstler von Arbeitsmethoden und Präsentationsstilen, die sich nicht eindeutig auf "Museumsniveau" befinden. Sieht etwas nicht so aus, als ob es sich um Kunst handeln könnte, stellt spätestens die white-cube-Atmosphäre sicher, daß man es hier mit Hochkultur zu tun hat. Nicht selten sind es die Künstler selbst, die großen Wert auf ein Kunstverständnis legen, das auf Begriffen wie "Überhöhung", "Ewigkeitswert" und "Künstlergenie" basiert. Ob es sich nun um einen solchen Selbstaufwertungsdrang von Kunstschaffenden handelt oder die immer noch dominierende gesellschaftliche Erwartung an Kunst, das Schöne, Kontemplative zu bewahren: Kunst hat unbedingt etwas Höheres zu sein als die Vision des Heimkunsthandwerkers von nebenan, und das läßt sich nunmal besonders gut mit riesigen Formaten und hohem technischen Aufwand demonstrieren. Wo es an Bereitschaft fehlt, sich auf etwas einzulassen, müssen große Illusionen her. Und dafür ist LowTech eben nicht immer das geeignete Medium.

Der posthumane Blick der Lochkamera

Natürlich sollte man weder das taktische Potential von Schönheit und Genuß unterschätzen noch das Potential von LowTech, als echte Alternative zu dienen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Lochkamera: das technische Niveau ihrer Konstruktion wirkt derartig low - meist eine einfache Pappschachtel mit einem Loch von kaum wahrnehmbarer Größe - daß viele hiermit nicht einmal den Begriff "Technik" assoziieren, geschweige denn sich vorstellen können, daß man mit so etwas Fotos produzieren kann. Das liegt zum einen daran, daß man mit dem Begriff "Technik" automatisch industriell hergestellte Apparate identifiziert:"richtige" Technik ist es nur dann, wenn es aus hochwertigen Materialien besteht, komplex zusammengesetzt und teuer ist. Zum andern tendiert man dazu, die Linse der Kamera mit dem menschlichen Auge gleichzusetzen und von derem Vorhandensein ein Funktionieren des Abbildungsprozesses abhängig zu machen. Doch dieser ereignet sich bei keinem von beiden ausschließlich in der Linse: hier wird das Licht nur gebrochen, d.h. gebündelt und umgeleitet, eine Funktion, die auch ein simples Loch leisten kann. Die eigentliche Visualisierung erfolgt erst durch Bereitstellen einer Projektionsfläche und das Fixieren auf dieser mit Hilfe von chemikalischer Prozesse. Die tatsächliche Funktion eines Kameraobjektivs besteht darin, die Krümmung des menschlichen Auges nachzuvollziehen und somit eine nach Ermessen des Menschen wirklichkeitsgetreue Motivwiedergabe zu ermöglichen. Die fremdartig verzerrten Lochkamerafotos dagegen konfrontieren eine scheinbar objektive Realität mit der Diskrepanz ihres medial erzeugten Abbildes. Damit kratzen sie nicht nur am Glauben an den Wahrheitsgehalt der Fotografie, der selbst im Zeitalter der digitalen Manipulierbarkeit immer noch stark ausgeprägt ist. Sie erinnern auch generell die Wahrnehmungsmaschine Mensch an die Relativität ihrer Welteindrücke - kurios erscheint in diesem Zusammenhang der Name des "Objektivs", besteht doch seine eigentliche Funktion im Subjektivieren, im "hinverzerren" einer "neutralen" optischen Realität zu der uns vertrauten. Jenseits eines anthropozentrischen Weltbildes würde das sofort auffallen. Höchste Zeit also, daß Tiere und Außerirdische sich einmischen.
Die Auseinandersetzung mit den Eigenarten der Lochkamerafotografie kann nicht nur zu spannenden erkenntnis- und medientheoretischen Überlegungen führen. Auch die Gewohnheiten fotografischer Praxis werden durchbrochen. Da z.B. manche Kameras für jedes Bild neu geladen werden müssen oder lange Belichtungszeiten "erschlichene" Fotos unmöglich machen, fordert das Fotografieren mit der Lochkamera in ungewohnter Intensität Beschäftigung mit dem Motiv und Geduld ein. Zudem gibt es bei der Lochkamera weder Belichtungsautomatik noch Sucher, so daß man in Ermangelung dieser gewohnten Hilfestellungen auf die eigene Imagination und Erfahrung setzen und ein Stück weit auch den Zufall zulassen muß. Man muß erst wieder lernen, den sicheren Bereich einer hochentwickelten Technik zu verlassen, deren oberstes Prinzip die immer perfektere Bereinigung des Arbeitsprozesses von unerwünschten Zufallsergebnissen ist. Dieser Schritt hat durchaus Vorteile, nicht nur, weil sich generell neue Perspektiven im Umgang mit Technik eröffnen. Die Lochkamera bietet auch Möglichkeiten - z.B. die unendliche Tiefenschärfe oder den krümmungsfreien Weitwinkel - die keines der vom Markt bereitgestellten Geräte vorweisen kann. Wer mit der Lochkamera arbeitet, muß seine Projekte nicht mehr nach Verfügbarkeit und Funktionsweise vorhandener Technik richten, sondern baut sich diese speziell für sein Anliegen einfach selber. Vor allem aber hilft das Arbeiten mit der Lochkamera, das geheimnisvolle Innenleben eines technischen Apparates, zu dem wir sonst nur über zwischengeschaltete Knöpfchen, Rädchen und Displays Zugang haben, grundlegend zu begreifen. Die Zauberbox Kamera ist entmystifiziert, ein neues Selbstbewußtsein gegenüber Technik entsteht. Die Schnittstelle Mensch-Maschine verschiebt sich in Richtung Mensch.
Nina Stuhldreher
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